Datum: 19.09.2025
Aktuelle Forschungsergebnisse: Der Waldwandel im Harz fördert die Artenvielfalt bei Schmetterlingen
Ökologin Dr. Anne Graser hat Nachtfalter im Nationalpark Harz erforscht
Die Ökologin Dr. Anne Graser hat bei einer Feldstudie im Rahmen ihrer Doktorarbeit in den Jahren 2021 und 2022 Nachtfalter im Nationalpark Harz erforscht. Dabei hat sie die Vorkommen dieser Insekten auf gestörten Waldflächen mit jenen in vitalen Fichtenbeständen verglichen. Ausgangspunkt ihrer Untersuchung war die Annahme, dass viele Arten darauf angewiesen sind, dass es in regelmäßigen Abständen zu natürlichen Störungsereignissen in Wäldern etwa durch Windwurf kommt, denn sie benötigen diese sich verändernden Waldflächen als Lebensraum. Aktuell ist eine wissenschaftliche Veröffentlichung mit Grasers Forschungsergebnissen erschienen.
Wälder sind ein wichtiger und nicht zu ersetzender Lebensraum für viele spezialisierte Tierarten – gerade angesichts des weltweit festzustellenden Rückgangs der biologischen Vielfalt. So sind etwa bei Vögeln und Nachtfaltern mitteleuropäischer Wälder ebenfalls Rückgänge festzustellen, vor allem bei Arten, die auf lichte und störungsreiche Wälder und frühe Sukzessionsstadien angewiesen sind. Als Sukzession wird die Veränderung der Artenzusammensetzung in einem bestimmten Lebensraum im Laufe der Zeit verstanden, wie sie etwa nach einer großflächigen Störung eintritt.
Die moderne Bewirtschaftung von Wäldern führte zu einer weitgehenden Vereinheitlichung der Waldstrukturen und natürliche Störungsereignisse wurden weitest möglich unterbunden: geschädigte und von Borkenkäfern befallene Baumbestände beispielsweise wurden rasch entnommen, um eine Ausbreitung der Käfer zu verhindern. Anschließend erfolgte eine rasche Wiederaufforstung, was zu einer Beschleunigung der Wiederbewaldung führte. Damit einher ging der Verlust an Lebensraum für jene Arten, die auf Sukzessionsflächen angewiesen sind.
Der großflächige Waldwandel im Nationalpark Harz, ausgelöst durch Dürreperioden und einer damit verbundenen Massenvermehrung von Borkenkäfern, welches zum großflächigen Absterben vieler Fichtenbestände führte, bot für Graser die Chance, diese Zusammenhänge zu erforschen. Die Veränderung von Nachtfaltergemeinschaften in Wäldern durch den Einfluss von Störungen war bislang kaum untersucht. Nachtfalterarten eignen sich aufgrund ihrer besonders ausgeprägten Spezialisierung, zum Beispiel auf bestimmte Raupen- und Nektarpflanzen, besonders gut als ökologische Indikatorarten. Außerdem handelt es sich um eine extrem vielfältige Tiergruppe mit unterschiedlichen Lebensraumansprüchen, die stark auf Störungen und Sukzession reagiert.
Nachtfalter erfüllen wichtige Funktionen in Ökosystemen, etwa bei der Bestäubung von Blütenpflanzen sowie als Nahrungsquelle für Fledermäuse oder Vögel. Insgesamt 1511 Nachtfalterarten werden in den Roten Listen der gefährdeten Arten Deutschlands geführt, bei einem großen Teil davon sind langfristige Bestandsrückgänge zu verzeichnen.
Konzepte zur Erhaltung der Biodiversität in mitteleuropäischen Wäldern sind dringend erforderlich
„Mechanismen hinter den Artenverlusten der letzten Jahrzehnte und dem Potenzial zukünftiger Entwicklungen im Lebensraum Wald müssen verstanden werden, um dringend notwendige Konzepte zur Erhaltung der Biodiversität in mitteleuropäischen Wäldern für die Zukunft zu entwickeln", stellt Anne Graser fest. Angesichts eines durch den Klimawandel eingeleiteten Waldwandels sind Strategien zum Umgang mit den entstehenden Störungsflächen zur Förderung der Biodiversität im Wald dringend notwendig.
„In mitteleuropäischen Wäldern nehmen natürliche Störungsereignisse zu. Dies ist durch den Klimawandel bedingt und wird durch historische forstwirtschaftliche Entscheidungen gefördert. Störungen führen zu mehr offenen und lichten Waldstadien und verändern so die Habitatbedingungen für Tier- und Pflanzenarten grundlegend. Dabei wird bislang nur unzureichend verstanden, wie diese Veränderungen und das forstliche Management nach natürlichen Störungen die Biodiversität in Wäldern beeinflussen", schreibt Anne Graser
Bei ihrer Studie wurden die Tiere auf insgesamt 40 Flächen nachts mit UV-Licht angelockt und in Lebendfallen gefangen. Am Morgen wurden die Tiere fotografiert, bestimmt und wieder in die Freiheit entlassen. So wurden insgesamt 393 Nachtfalterarten in über 50.000 Individuen erfasst. Sie konnte feststellen, dass die Artenvielfalt auf den untersuchten Störungsflächen höher war als in ungestörten Fichtenbeständen. Auch gefährdete Arten profitierten von den Störungsereignissen. Die unterschiedlichen forstlichen Managemententscheidungen nach einer Störung, wie das Belassen des Totholzes oder aber die Beräumung der Fläche führten zu Unterschieden in den Artengemeinschaften der Nachtfalter. Dabei waren die stärksten Unterschiede zwischen den vitalen Fichtenbeständen und den beräumten Flächen festzustellen. Die unberäumten Totholzflächen vermittelten zwischen diesen beiden, was aufzeigt, dass sich hier sowohl noch Arten dichterer Wälder halten, als auch schon Arten lichterer Wälder und des Offenlandes gute Lebensbedingungen vorfinden können. Grundsätzlich aber profitierten Arten offenerer Lebensräume von den Störungen, während Arten geschlossener Wälder eher zurückgingen. Dieser erwartbare Rückgang bei Arten, die auf geschlossene Wälder angewiesen sind, werde vom Zuwachs an Arten in offenen Wäldern wahrscheinlich überwogen, wenn es zu einer Vergrößerung der Fläche früher Waldsukzessionsstadien kommt. So geht Graser von einer insgesamt störungsbedingten Zunahme der Nachtfaltervielfalt aus. „Da Waldstörungen geeignete Lebensräume für Arten bieten, die aufgrund der Dominanz geschlossener, dunkler, kühler und reifer Wälder über längere Zeiträume zurückgegangen sind, bieten zunehmende Störungen eine Chance für den Falterschutz", stellt Gaser fest. Schon in früheren Studien hatte sich gezeigt, dass Nichteingriffe in die Waldsukzession einer Vielzahl von Artengruppen wie Laufkäfern, holzzersetzenden Käfern, Gliederfüßern oder Fledermäusen zugutekommen. Dies konnte nun auch für die Nachtfalter belegt werden.
Die beobachtete Vielfalt der Artengemeinschaften deutet laut Graser darauf hin, dass die Aufrechterhaltung einer hohen Nachtfalterdiversität auf Landschaftsebene ein unterschiedliches Waldmanagement erfordert. Zur Förderung der Artenvielfalt ist eine Kombination unterschiedlicher forstlicher Managementansätze nach Störung sinnvoll, etwa ein Nebeneinander beräumter und nicht-beräumter Flächen, was zu unterschiedlichen Vegetationsstrukturen führt. Ein nichteingreifendes Management ist jedoch nach wie vor selten und weitgehend auf Schutzgebiete beschränkt.
Die Originalarbeit von Dr. Anne Graser (englisch) ist im Internet hier zu finden.