Einstellungen

Datum: 19.12.2022

Band 20 der Nationalpark-Schriftenreihe widmet sich den Schmuckalgen

25 Jahre Forschung an mikroskopischen Schönheiten und wichtigen Sauerstoffproduzenten in Gewässern

Der neueste Band der Schriftenreihe aus dem Nationalpark Harz widmet sich einer besonderen, aber wohl oft übersehenen Lebensform und dokumentiert deren Vorkommen und Vielfalt: Den Schmuckalgen, genauer gesagt den Joch- und Zieralgen, die zu den engen Verwandten der höheren Pflanzen gehören. Und wie diese betreiben auch die Schmuckalgen Photosynthese und produzieren dabei Sauerstoff.

Die Joch- und Zieralgen sind sicherlich ein „Orchideenfach", wie man umgangssprachlich ein ausgefallenes, ungewöhnliches oder seltenes Studienfach bezeichnet, das eine beträchtliche Spezialisierung auf Seiten der Forschenden erfordert. Die Systematik der Joch- und Zieralgen stützt sich traditionell überwiegend auf Merkmale in mikroskopischen Dimensionen, was einen hohen Grad an Spezialisierung, großes Können und viel Geduld beim Bearbeitenden voraussetzt. Die nun erschienene Dokumentation und die zugrundeliegenden Daten schließen eine wesentliche Lücke in der Arteninventarisierung des Nationalparks Harz.

Langjähriges ehrenamtliches Engagement der Autorin Hildegard Reinecke

„Die Beobachtung und Dokumentation von Lebensräumen und darin vorkommender Artengemeinschaften zählt zu den wesentlichen Aufgaben von Schutzgebietsverwaltungen. Dabei erfahren diese immer wieder tatkräftige Unterstützung von engagierten externen Expertinnen und Experten", schreibt Thomas Glinka, Fachbereichsleiter Naturschutz, Forschung und Dokumentation bei der Nationalparkverwaltung, in seinem Vorwort. Einem solchen langjährigen ehrenamtlichen Engagement der Autorin Hildegard Reinecke ist es zu verdanken, dass der Nationalpark den neuen Band der Schriftenreihe herausgeben konnte.

Dabei befasst sich Reinecke, die von Jan Šťastný von der Karls-Universität in Prag und ihrem Ehemann Walter Reinecke unterstützt wurde, mit einer Organismengruppe, die den Allermeisten von uns sehr wahrscheinlich nicht als Erstes in den Sinn kommt, wenn es um den Naturraum Harz geht. Die behandelten Joch- und Zieralgen sind ausschließlich im Süßwasser zu finden. Sie leben am Boden und auf der Oberfläche von Wasserpflanzen oder schweben seltener als Phytoplankton frei im Wasser vor allem stehender Gewässer. Als Primärproduzenten und Sauerstoffbildner sind sie ein tragendes Element in Süßwasserökosystemen. Das Untersuchungsgebiet umfasst mit Hoch-, Hang- und Quellmooren, Teichen und Weihern sehr unterschiedliche Biotope.

 

Joch- und Zieralgen bilden gemeinsam die Gruppe der Schmuckalgen. „Erst unter dem Mikroskop betrachtet, entfalten die auf den ersten Blick unscheinbar wirkenden Lebewesen durch ihre vielgestaltige Symmetrie eine faszinierende Schönheit", so Glinka. Auf ausgewählten Untersuchungsflächen im Gebiet des Nationalparks Harz fanden zwischen 1994 und 2019 Probenahmen statt. „Sage und schreibe 25 Jahre und ungezählte Stunden, die Hildegard Reinecke – immer unterstützt durch ihren Ehemann – mit beachtlichem Durchhaltevermögen in die Geländearbeit, Bestimmung, Dokumentation, Erstellung der Fotos und nicht zuletzt in die Erarbeitung der hier vorgelegten wissenschaftlichen Texte gesteckt hat. Ein Datenschatz, der in diesem Umfang nur sehr selten erarbeitet wird und höchsten Respekt verdient", stellt Glinka im Vorwort heraus. Dabei beschränkt sich die Autorin nicht auf eine reine Auflistung der vorkommenden Arten, sondern beschreibt teils detailliert die Fundumstände und dokumentiert die Fundorte. Durch eine reichhaltige Bebilderung werden sowohl die Arten als auch besiedelte Habitate beispielhaft vorgestellt.

Oberharzer Moorgebiet erwies sich erneut als besonders wertvolles Habitat

Das Oberharzer Moorgebiet erwies sich im Rahmen der Erfassungen erneut als besonders wertvolles Habitat und zeichnet sich auch bei den Schmuckalgen durch einen besonders großen Artenreichtum aus. Insgesamt wurden 196 Joch- und Zieralgentaxa erfasst. Fast 80 % der vorkommenden Arten sind in der aktuellen Roten Liste Deutschlands aufgeführt, etwa zwei Drittel davon als gefährdet, stark gefährdet oder extrem selten eingestuft. Dies unterstreicht einmal mehr die besondere Bedeutung des Nationalparks als Lebens- und Rückzugsraum seltener und gefährdeter Arten und in besonderem Maße die überregionale Bedeutung der Harzer Moore.

„Daraus erwächst gleichermaßen eine hohe Verantwortung für den Schutz der Lebensräume nicht nur dieser Artengruppe. Die Moore selbst sind hochgradig gefährdete Lebensräume und wertgebende Elemente bezüglich der Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit des Nationalparks Harz", betont Fachbereichsleiter Glinka. Dabei kann wesentlichen Gefährdungsfaktoren wie klimatischen Veränderungen oder atmosphärischen Nährstoffeinträgen nur in sehr begrenztem Maße auf lokaler oder regionaler Ebene entgegengewirkt werden. „Hier muss sich die Gesellschaft den Auswirkungen ihres Handelns und ihrer Verantwortung gegenüber der Umwelt bewusstwerden und gegensteuern."

Schmuckalgen reagieren sehr schnell auf Umweltveränderungen, sei es durch die Aufnahme und den Einbau von Stoffen in ihren Organismus, durch Veränderungen der Lebensfunktionen oder durch klar erkennbare Bestandesab- oder -zunahmen und eignen sich daher sehr gut als Bioindikatoren. Es lohnt sich deshalb, diese Artengruppe auch zukünftig nicht aus den Augen zu verlieren.