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Datum: 07.04.2020

Erinnerungen an das Kriegsende im April vor 75 Jahren in der Nationalparkregion Harz

Jugendwaldheim Brunnenbachsmühle pflegt Kriegsgräberstätte Oderbrück

Jährlich wird auf der Kriegsgräberstätte Oderbrück mitten im Nationalpark Harz der hier gefallenen Soldaten und anderen Opfer des Zweiten Weltkriegs gedacht – im April 2020 ist das Kriegsende 75 Jahre vorüber. Der Nationalpark Harz ist als sog. Gemeindefreies Gebiet nach dem „Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft" (Gräbergesetz) für die Pflege des Ehrenfriedhofs Oderbrück zuständig. Seinen praktischen Verpflichtungen kommt er durch Arbeiten des Jugendwaldheims Brunnenbachsmühle nach.

Das Kriegsende naht

Anfang April 1945 zingelten die alliierten Truppen die Heeresgruppe B – bekannt durch die von ihr durchgeführte Ardennenoffensive – im Ruhrkessel ein. Hitler plante einen Entsatz des Ruhrkessels – Befehlshaber sollte Generalfeldmarschall Albert Kesselring, Oberbefehlshaber West, sein. Er traf mit seinem Befehls-Eisenbahnzug am 3. April im Raum Elbingerode – Drei Annen Hohne ein und schlug hier sein Hauptquartier auf. Der Harz schien durch seine Lage, das gebirgige Terrain und die Tarnungsmöglichkeiten ein idealer Standort dafür zu sein. Doch die Lage war hoffnungslos und die Alliierten nahmen den Harz ohne große militärische Probleme ein. Am 3. und 4. April wird Nordhausen bombardiert. Im Harz versucht das deutsche Oberkommando derweil, aus versprengten Truppenteilen hier eine 11. deutsche Armee zu formieren. Während im Raum Nordhausen die Raketenproduktion des KZ Mittelbau-Dora evakuiert wird, startet am 6. April die Überquerung der Weser durch die US Army. Am 8. April werden die Leine südlich von Hannover und der Raum Hildesheim erreicht, am 9./10. April der westliche und südliche Harzrand. Kesselring flieht aus dem Harz in den Raum Jena.

Kämpfe um Altenau, Torfhaus und den Brocken

Am 14. April 1945 drangen US-amerikanische Truppen von Altenau kommend in Richtung Torfhaus vor, trafen aber auf heftigen Widerstand durch SS-Truppen, Volkssturm und einige Panzer. Erst am 15. April konnte die Siedlung besetzt werden, stand danach aber unter Beschuss deutscher Artillerie. In den folgenden Tagen kam es immer wieder zu kleinen Gefechten und Hinterhalten durch versprengte deutsche Soldaten, die sich in den Wäldern versteckt hielten.

Bemerkenswert sind die Kämpfe um den Brocken, der mit seiner Sendeanlage in den letzten Kriegstagen eine militärische Bedeutung hatte. Alles begann dort ganz zivil. Der „Sender Brocken" sollte in der NS-Zeit ab 1939 zur Verbreitung von Fernsehprogrammen im nord- und mitteldeutschen Raum eingesetzt werden, wozu es nach Beginn des Zweiten Weltkriegs aber nicht mehr kam. Stattdessen wurde er vom NS-Reichsluftfahrtministerium übernommen, das dort für die Luftwaffe neben akustischen Horchgeräten zur Flugzeugortung funktechnische Anlagen für die Führung der Jagdflugzeuge, wie Relaisstationen sowie Peilsender und -empfänger, aufbauen ließ. In den letzten Kriegsjahren waren auf dem Brocken auch starke Störsender für die Kommunikations- und Navigationstechnik feindlicher Flugzeuge installiert.

Am 17. April 1945 wurde der Brocken von US-Luftstreitkräften bombardiert, am 19. April 1945 begann die US Army von Schierke aus über die Brockenstraße den Angriff auf den Brocken, der von ca. 150 Mann verteidigt wurde. Auch ein „Sonderkommando Brocken" der SS-Panzerbrigade „Westfalen" war beteiligt. Zunächst wurden die Heinrichshöhe und der Königsberg genommen, dann das Brockenplateau selbst. Bald darauf – am 22. April – ergeben sich die letzten Truppenteile des Harzes in Blankenburg. Die US Army brauchte nur etwas weniger als 14 Tage, um den Harz zu besetzen.

Aber auch danach kam es noch zu völlig sinnlosem Blutvergießen – von der NS-Propaganda als „Werwolf"-Widerstand glorifiziert. Als am 25. April zwei US-Soldaten beim Betreten einer Skihütte am Schubenstein nahe Torfhaus von dort verschanzten deutschen Kämpfern erschossen wurden, glaubten die Amerikaner, dass die Bewohner von Torfhaus die Soldaten in diesen Hinterhalt gelockt hätten. Am 27. April wurden die Einwohner aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen und die gesamte Siedlung wurde in Brand gesteckt – nur wenige Gebäude blieben verschont. Die deutschen Gefallenen dieser Gefechte wurden später auf den Ehrenfriedhof Oderbrück umgebettet. Dort liegen auch die Gräber von 14 unbekannten sowjetischen Toten unklarer Herkunft.

Keine Festung Harz

Immer wieder liest man in der Brocken- und Harzliteratur, die sich mit dieser Zeit beschäftigt, den Begriff „Festung Harz". Doch gab es die wirklich? Sicher gab es hier bedingt durch die teilweise Unwegsamkeit des Geländes erheblich mehr und länger anhaltenden Widerstand seitens deutscher Truppen, doch war dies für den Kriegsverlauf nicht entscheidend. Weder im Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht noch in den Wehrmachtsberichten zum Ende des Zweiten Weltkriegs ist von einer „Festung Harz" zu lesen. Dennoch wird fälschlicherweise immer noch davon geschrieben und gesprochen, ohne einen Beleg für den angeblichen Befehl Hitlers vom 8. April 1945 anzugeben. Es gab ihn einfach nicht.

Die Darstellungen von Manfred Bornemann, der über dieses Thema zwei in vielen Auflagen erschienene Bücher schrieb („Schicksalstage im Harz", „Die letzten Tage in der Festung Harz"), dürfen aufgrund neuerer Forschungen als überholt angesehen werden. Selbst der für den Harz zuständige Gauleiter Rudolf Jordan, einer der hörigsten Gefolgsleute Hitlers, weiß nichts von einer „Festung Harz", wie er in seiner beschönigenden und Fakten verdrehenden Autobiographie „Erlebt und erlitten" (1971) schrieb. Ebenso können die viel zitierten Darlegungen von Ulrich Saft („Krieg in der Heimat", 1994) aufgrund späterer Forschungsergebnisse ad acta gelegt werden.

Hitler hatte während der Rückzugs-Operationen der Wehrmacht 1944 das Konzept der „Festen Plätze" entwickelt. Solche Orte haben sich einschließen zu lassen, um dadurch möglichst starke Feindkräfte zu binden. 29 Orte, unter ihnen Reval, Minsk, Tarnopol und Witebsk, wurden zu „Festen Plätzen" erklärt. Im gleichen Atemzug wurden für die Propaganda und das Prestige wichtige Städte wie Marseille, Paris oder Budapest zu „Festungen" ausgerufen, die nur als totales Trümmerfeld verlassen werden sollten. Militärisch waren diese Wahnsinnsbefehle nicht ausführbar. Dass ein ganzes Gebiet zu Ende des 2. Weltkriegs je zu einer „Festung" erklärt wurde, ist absolut nicht nachweisbar – es hätte militärtechnisch auch gar nicht funktioniert.

Nur die Militärs vor Ort verwendeten seinerzeit den Begriff „Festung" – aber meist auch erst nach dem Krieg und in Form einer Legendenbildung. Kesselring schrieb in seinen Lebenserinnerungen („Soldat bis zum letzten Tag", 1953): „Am 8. April 1945 wurde der Harz vom OKW zur Festung erklärt, und die 11. Armee mit der Verteidigung beauftragt." Auch Oberst Gustav Petri vermerkt in seiner letzten Eintragung im Tagebuch: „Auf Befehl des Führers soll der Harz eine Festung werden und ist zu verteidigen." Schließlich finden sich in den Aufzeichnungen des Wernigeröder Bürgermeisters Ulrich von Fresenius mehrfach Notizen über Gespräche mit Verantwortlichen in der Stadt darüber, ob Wernigerode „Festung, Lazarettstadt oder offene Stadt", also verteidigt oder nicht verteidigt werden solle. Eine Entscheidung ist niemals gefallen. Petri und seiner mutigen Befehlsverweigerung haben wir die Existenz der Altstadt von Wernigerode zu verdanken. Sein Gedenkstein steht am Parkplatz Drei Annen Hohne.

So muss Jürgen Möller („Der Kampf um den Harz 1945", 2011, 2. Auflage 2013) zugestimmt werden. Er nennt die „Festung Harz" schlicht einen Mythos. Der Begriff ist – ebenso wie die sog. „Alpenfestung" – dem Wahnwitz Hitlers entsprungen, eingedrungen in die Verzweiflung eines von der Kriegsfurie überrollten Volkes und zugleich Strohhalm, als sei der „Endsieg" doch noch greifbar nahe.

Gedenken wir dieser Tatsache, wenn wir uns auf dem Ehrenfriedhof Oderbrück befinden und ihn in unsere Wanderungen oder die Bildungsarbeit des Nationalparks einbeziehen.

Terminhinweis: Für den 4. Juni 2020 um 19.30 Uhr ist ein Vortrag von Jürgen Möller zum Thema „Mythos ‚Festung Harz' – Wie der Harz die Wende an der Westfront bringen sollte" im Großen Sitzungssaal des Landkreises Goslar, Klubgartenstraße 6 geplant. Eintritt frei. Weitere Informationen siehe www.geschichtsvereingoslar.de

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